- X.com
- X.com
- Messenger
Sophie ist 20, hübsch, Bloggerin mit »hartem Geist und weichem Herz«, so schreibt sie in ihrem Instagram-Profil. Sie mag Kunst, »echten Kaffee« und ist heilfroh, Ulms Kleinstadt-Mief zu entkommen: Das Studium in München wartet. »Endlich geht's los!«, postet sie am 4. Mai unter einem Selfie-Video. In München wird sie ihren »schönen, klugen Bruder Hans« treffen und sehnt sich nach Fritz, ihrem Geliebten. Dabei ist er Berufssoldat an der Front – und sie Kriegsgegnerin. Gegnerin des Zweiten Weltkriegs, denn das alles liegt 79 Jahre zurück.
Die echte Sophie Scholl und ihr Bruder Hans wurden am 22. Februar 1943 per Fallbeil hingerichtet, wegen ihres Widerstands mit der »Weißen Rose« gegen das Naziregime. Auf Instagram aber lebt Sophie Scholl: im vom SWR und BR produzierten Projekt @ichbinsophiescholl. Dort postet sie munter Selfies, Dokumente, Zeichnungen, basierend auf den wahren Ereignissen, und erzählt »in Echtzeit«, zehn Monate lang. Manche Zitate sind erfunden, andere historisch verbürgt.
Sophie nach ihrer Ankunft in München
Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Instagram, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit wieder zurücknehmen.
{$dispatch('toggle')}, 250);">
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden.Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Zur Datenschutzerklärung
»Grandiose Idee« und »Meilenstein der modernen Unterhaltung«, wie einige Instagram-Kommentatoren loben? Oder eher geschmackloser Geschichtskitsch? Ein Gespräch mit Scholl-Darstellerin Luna Wedler, 21, und Historikerin Barbara Beuys, 77.
SPIEGEL: Frau Beuys, am 9. Mai sprechen Sie bei einer Gedenkveranstaltung in Ulm zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl . Am selben Tag bereitet auf Instagram Hans Scholl seiner Schwester eine Überraschungsparty zum 21. Geburtstag. Passt dieses unterschiedliche Gedenken zusammen – oder gerät man da auf eine völlig schiefe Ebene?
Beuys: Das glaube ich nicht. Man darf ruhig beides zusammenschneiden. Die historische Sophie Scholl könnte heute noch leben, manche Zeitzeugen werden 100 Jahre alt. Und Sophie Scholl war schon in jungen Jahren eine sehr selbstbewusste, moderne Frau – insofern passt auch Instagram gut zu ihr.
SPIEGEL: Frau Wedler, @ichbinsophiescholl ist eine sehr personifizierte Ansprache, das erinnert ungewollt etwas an »Jana aus Kassel«. Hatten Sie keine Bauchschmerzen, sich auf diese Weise einer ikonischen Figur zu nähern, die derzeit auch von »Querdenkern« und Rechtspopulisten vereinnahmt wird?
Wedler: Genau deshalb ist es doch so wichtig, dass wir von Sophie Scholl erzählen und erlebbar machen, wie sie wirklich war. Damit solche Leute sich das anschauen und verstehen, dass sie nicht das Recht haben, sich mit ihr zu vergleichen.
Beuys: Natürlich kann man nie wissen, wer sich das aneignet. Entscheidend ist, dass Sophie wirklich als außergewöhnliche Frau dargestellt wird. Nach allem, was ich bisher gesehen habe auf Instagram, kommt das hin. Es ist schwierig, keinen reinen Abklatsch zu produzieren, sondern die eigene Persönlichkeit einzubringen – und die scheinen Sie zu haben, Frau Wedler. Es gibt allerdings eine Szene, die halte ich gerade im Hinblick auf den Missbrauch von Sophie durch »Querdenker« und Verschwörungsfanatiker für problematisch.
SPIEGEL: Worum geht es da?
Beuys: Man sieht im Bild eine Zeitung, den »Völkischen Beobachter«. Dazu eingeblendet ist die Frage: »Trauen Sie dem, was Zeitungen sagen?« Und ebenfalls eingeblendet eine Statistik, in der 96 Prozent sagen: Nein! Hier wird die demokratische Presse, wie wir sie heute haben, mit der NS-Presse verglichen. Genau so etwas posaunen die »Querdenker« doch immer heraus: Lügenpresse. Da muss man aufpassen.
»Klar, das Wort wird einem blitzschnell im Mund rumgedreht. ›Ich kämpfe für die Freiheit‹ – zack!«
Luna Wedler
Wedler: Es wird Leute geben, die unser Projekt instrumentalisieren. Aber wir haben sehr genau geschaut, dass wir nicht missverstanden werden können. Klar, das Wort wird einem blitzschnell im Mund rumgedreht. »Ich kämpfe für die Freiheit« – zack! Das kann man so oder so interpretieren. Das Internet ist brutal und riskant.
Beuys: Sophie Scholl hat ja keine Pamphlete verfasst, die man vorlesen kann. Alles, was in der Richtung durchs Netz rauscht, ist gefälscht. Umso wichtiger ist es, dass sie als Person überzeugt, dass sie als Frau der Widersprüche gewürdigt wird: Fast fünf Jahre lang war Sophie Scholl eine engagierte Nationalsozialistin. Erst dann hat sie die Kehrtwende vollzogen und kraft ihres Verstandes erkannt: Dieser Staat hat mich belogen, ich habe keine Freiheiten und werde Widerstand leisten.
SPIEGEL: Sie haben also kein Problem damit, dass eine hingerichtete Widerstandskämpferin mit historischen Häppchen auf Instagram wiederbelebt wird?
Beuys: Überhaupt nicht. Das ist doch eine Möglichkeit, die Menschen zu erreichen, die eben keine Bücher lesen. Warum soll man nicht die Chancen des 21. Jahrhunderts nutzen? Ich habe selbst ein Instagram-Profil.
SPIEGEL: Beim Projekt werden Spielszenen mit historischen Zitaten und Dokumenten vermengt, ohne dass es für den Laien erkennbar wäre. Darf man Geschichte so vermitteln, um junge Menschen zu erreichen?
Beuys: Dass man beides mischt, ist längst nichts Neues mehr. Das passiert bei Doku-Dramen regelmäßig.
SPIEGEL: Dort lassen sich Fiktion und Fakten kennzeichnen – bei Instagram kaum.
Beuys: Dennoch müssen Sie bedenken: Die Masse der Menschen hat nicht studiert und möchte unterhalten werden. Ich schreibe meine Bücher auch nicht primär für Akademiker. Wenn gespielte Szenen mit der Persönlichkeit in Übereinstimmung stehen, muss nicht jedes Wort stimmen. Zentral ist: Man braucht eine solide Quellenbasis, auf der man aufbauen kann.
SPIEGEL: Frau Wedler, wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Wedler: Ich habe über 400 Briefe von Sophie und ihrem Verlobten Fritz Hartnagel gelesen. Die Briefe waren ein Riesengeschenk für mich. Ich durfte quasi in Sophie Scholls Kopf gucken. Sie schreibt so berührend, so lebendig, schildert so schön ihre Verbundenheit mit der Natur. Ich musste manchmal echt weinen. Allein die Vorstellung, dass man Wochen, manchmal Monate auf einen Brief warten musste. Dann dieses Dilemma, dass sie den Krieg verabscheut und ihr Freund Fritz Soldat ist. Natürlich habe ich mich auch mit den Biografien und Dokumenten ihrer Schwestern beschäftigt.
Fotostrecke
»Stell dir vor, es ist 1942 auf Instagram«: Die Selfie-Sophie und ihr historisches Vorbild
Foto: SWR / Rebecca Rütten / Sommerhaus Film / obs / dpa
SPIEGEL: Wie sehr haben Sie sich mit Sophie Scholl identifiziert?
Wedler: Vergleichen würde ich mich nie mit Sophie. Ich habe versucht, dieser jungen Frau so gerecht zu werden wie möglich. Klar wünschte ich, so mutig zu sein, diese Stärke, diesen Gerechtigkeitssinn zu besitzen. Zum Glück muss ich nicht in ihrer Zeit leben.
SPIEGEL: Eine Tücke ist, den richtigen Ton zu treffen. Wie kann man Sophie Scholl für Jugendliche erlebbar machen, ohne dass es anbiedernd rüberkommt?
Wedler: Wir hatten zunächst eine andere Figur im Sinn. Eine Sophie, die eher als Influencerin agiert, Emojis benutzt und das ganze Trallala. Dann wurden wir skeptisch und merkten: Man muss sie nicht um jeden Preis in die heutige Zeit holen, diese Rolle würde ihr nicht gerecht. Es sind ja auch heute längst nicht alle Jugendlichen so. Wir wollten eine authentische Sophie erzählen, die alles dokumentiert hat, um es der Welt mitzuteilen.
Ein Blick auf den Schreibtisch von Bruder Hans
Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Instagram, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit wieder zurücknehmen.
{$dispatch('toggle')}, 250);">
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden.Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Zur Datenschutzerklärung
SPIEGEL: Bisher konnten wir mitverfolgen, wie Sophie mit wehenden Haaren im Zug von Ulm nach München fährt. Sie schwärmt von ihrem »schönen, klugen Bruder Hans«, trifft ihren Freund Fritz, der sie »anzieht wie ein Magnet«, erinnert an eine romantische »Mondnacht«. Ist das nicht zu kitschig?
Beuys: Liebe ist nie kitschig! Sie war ja wirklich sehr verliebt in diesen vier Jahre älteren Mann. Mit gerade 17 Jahren lebte sie schnell eine feste und auch intime Beziehung. Ihre Eltern haben das akzeptiert, damals alles andere als selbstverständlich. Nein, diese Liebe war zentral und Fritz Hartnagel der wichtigste Mann in ihrem Leben – neben ihrem Bruder Hans.
SPIEGEL: Damit die Instagram-Nutzer sich mit Sophie identifizieren, treten Aspekte von Sophies Persönlichkeit in den Hintergrund, die heute altmodisch wirken könnten, ihre tiefe Religiosität etwa.
Wedler: Ja, darüber wird in der Tat wenig geredet, was ich persönlich schade finde. Wir haben das getan, weil die jungen Leute damit heute überwiegend nichts mehr anfangen können. Wir wollen eine Brücke bauen, damit sie sich in einem zweiten Anlauf vielleicht noch mal intensiver mit Sophie Scholl beschäftigen.
SPIEGEL: Sie sind Jahrgang 1999. Was wussten Sie von Sophie Scholl vor Beginn des Projekts, wie sehr hat sich Ihr Bild gewandelt?
Streit unter den Nachfahren: Wie ein Neffe von Sophie Scholl das Erbe der »Weißen Rose« instrumentalisiertVon Christoph Gunkel
Tod von Sophie und Hans Scholl: "Ich erinnere mich, wie Mutter die Särge streichelte"Von Tim Pröse
Krude NS-Vergleiche von rechts: Wie sag ich's dem radikalisierten Onkel?Von Eva Kienholz
Würdigung einer verklärten Ikone: Mensch und Mythos Sophie SchollVon Susanne Beyer
Wedler: Ich kannte sie überwiegend aus der Schulzeit, als Heldin. Über ihre inneren Konflikte und Unsicherheiten, über ihren Alltag wusste ich nicht Bescheid. Genau den wollen wir vermitteln, dafür bietet sich Instagram super an. Schockiert hat mich, dass manche aus meinem Bekanntenkreis nichts mit dem Namen anfangen konnten und überhaupt nicht wussten, wer Sophie Scholl war.
SPIEGEL: Sie wird zum 100. Geburtstag mit einer Münze und einer Briefmarke geehrt, in der Wahrnehmung überstrahlt sie längst ihren Bruder Hans. Trägt eine Insta-Story nicht zur Verzerrung ihrer Bedeutung bei?
Beuys: Von Überzeichnung kann man nur reden, wenn die Macherinnen und Macher nicht informiert sind. Sophie Scholl gehört auf kein Denkmal, war aber ein besonderer Mensch. An Fritz Hartnagel hat sie mal geschrieben: »Von Frauen erwartet man, dass sie die Gefühle an erste Stelle setzen. Ich aber bin der Meinung: Zuerst kommt das Denken.« Das muss immer wieder herausgestellt werden.
»Sophie Scholl war so viel mehr als nur die kleine Schwester ihres großen Bruders Hans.«
Barbara Beuys
SPIEGEL: Ein Neffe der Geschwister Scholl, Manuel Aicher, warnte kürzlich, die historische Rolle seiner Tante Sophie werde im Vergleich zu seinem Onkel Hans überbetont.
Beuys: Herr Aicher gehört zur Familie Scholl, niemand kann erwarten, dass er nüchtern auf die Geschichte schaut. Alles, was derzeit an Fakten auf dem Tisch liegt, zeigt, was für eine herausragende Rolle Sophie Scholl bekleidete. Vielleicht neigen Männer eben dazu, lieber die Rolle von Hans in den Vordergrund zu schieben?
SPIEGEL: Was werden Sie bei Ihrer Ulmer Rede zum 100. Geburtstag besonders an der Widerstandskämpferin würdigen?
Beuys: Allem voran werde ich ihre Widersprüchlichkeit betonen. Dass man einsehen kann, Fehler zu machen, dass man seine Meinung ändern kann. Und: dass man diskutieren kann und auch muss. Sophie Scholl kommt aus einem sehr besonderen Elternhaus, mit einer überzeugten Christin als Mutter und einem Agnostiker als Vater. Man hat diese Konflikte tolerant am Küchentisch ausgetragen, im Beisein der Kinder. Als »warmen, sicheren Kreis« hat sie ihre Familie bezeichnet. Wichtig ist mir auch: Sophie Scholl war eine ganz eigene Person – so viel mehr als nur die kleine Schwester ihres großen Bruders Hans. Sie war aus meiner Sicht offener, toleranter. Ich hoffe, das kommt im Instagram-Projekt raus.
SPIEGEL: Frau Wedler, verraten Sie uns, ob die Bloggerin Sophie Scholl auch nach ihrer Festnahme am 18. Februar 1943 aus dem Gefängnis heraus postet?
Wedler: Darf ich das jetzt sagen? Egal: Unser Projekt endet mit der Verhaftung in der Uni München. Sophie hat danach nicht mehr das Bedürfnis, sich selbst zu filmen. Für mich war es sehr berührend, dass wir dort drehen durften, wo sie die Flugblätter in den Lichthof der Uni gestoßen hat. Sich vorzustellen, wie sie hier durch die Gänge gelaufen ist und es das Ende bedeutete, war sehr emotional.